Smarte Uhren und Fitness-Armbänder messen längst mehr als nur Puls und Schrittzahl: Die Mini-Computer können heute sogar EKGs erstellen und ihre Träger frühzeitig vor Herz-Krankheiten warnen. Und das ist erst der Anfang.
Noch vor wenigen Jahren galten Smartwatches vor allem als Statussymbol für Technik-Verliebte und digitale Trendsetter. Dann nutzten immer mehr Jogger, Radfahrer und Fitness-Fans die klugen Uhren zur sportlichen Selbstoptimierung. 26 % der Deutschen besitzen bereits ein Wearable. Die meisten von ihnen (66 %) sind jünger als 40 Jahre. 46 % der Bundesbürger interessieren sich für die Nutzung einer Smartwatch. Meistgenutzte Marke hierzulande (mit 40 %): Apple.
Smart Watch als Lebensretter?
Es klingt immer noch ein wenig nach Science-Fiction: Doch zusätzlich zur Pulsmessung und einer eingebauten Sturzerkennung können moderne Smartwatches auch EKGs erstellen. Und zwar so gut, dass auch Fachleute davon angetan sind. Immer häufiger werden inzwischen Fälle bekannt, in denen Multifunktions-Uhren aufgrund zu hoher Herzfrequenz Alarm auslösten und ihre Besitzer rechtzeitig zum Arzt gingen.
So stellte der Essener Arno Schmidt in seinem Urlaub fest, dass seine Apple Watch eine zu hohe Herzfrequenz anzeigte. Daraufhin startete er die EKG-App an dem Gerät, die Daten über einen Sensor in der Krone der Uhr erfasst. Das Elektrokardiogramm deutete auf Vorhofflimmern hin und die Uhr riet zu einem Arztbesuch. Der 48-jährige Diplom-Kaufmann fuhr in eine Klinik, wurde umgehend operiert und bereits am nächsten Tag wieder entlassen.
Herzprobleme frühzeitig erkennen
In einer groß angelegten Studie zusammen mit der renommierten Stanford Universität hat Apple mehr als 400.000 Amerikaner auf Herzrhythmusstörungen untersucht und dabei den Algorithmus der Watch mit Langzeit-EKGs verglichen. In 0,5 Prozent der Fälle wurden dabei Herzrhythmusstörungen diagnostiziert. Rund ein Drittel der Probanden, bei denen diese Unregelmäßigkeiten festgestellt wurden, ließ sich daraufhin untersuchen. Das Resultat: Bei 85 Prozent stellten Mediziner ein Vorhofflimmern fest. Diese Störung ist den Betroffenen in den meisten Fällen überhaupt nicht bewusst.
Smart Watch-EKGs funktionieren gut
Vorhofflimmern an sich ist zwar nicht unmittelbar lebensgefährlich, erhöht aber das Risiko, einen Schlaganfall zu erleiden, um das Fünffache. Thomas Deneke, Chefarzt einer Herz-Gefäß-Klinik, beurteilte die EKG-Funktion der Apple Watch 4 in einem Interview mit dem „Stern“ als „extrem gut“, man stehe am Anfang einer „vielversprechenden Technologie“. Der Mediziner, der die EKG-Funktion der Uhr mehrere Monate testete: „Wenn man Beschwerden hat und wissen will, ob etwas mit dem Herzrhythmus nicht in Ordnung ist, würde ich zuerst den Puls fühlen. Letztlich macht die Apple Watch nichts anderes, wenn auch durch die hinterlegten Algorithmen etwas genauer, als man das als Laie mit den Fingern kann.“ Er könne sich vorstellen, dass das Hightech-Device, wenn es richtig eingesetzt werde, Schlaganfälle verhindern und „das eine oder andere Leben retten“ könnte.
Fälle dieser Art sorgen weltweit mittlerweile immer öfter für Aufsehen und mediale Berichterstattung. So wurde ein 30-jähriger Brite von seiner Uhr auf Herzrhythmusstörungen aufmerksam gemacht. Bei der anschließenden Untersuchung wurden zwei undichte Herzklappen diagnostiziert und operiert.
Sturzerkennung und Notruffunktion
Die Sturzerkennung seiner Smartwatch rettete dem US-amerikanischen Mountainbike-Fahrer Bob Burdett vermutlich das Leben, weil sie nach einem schweren Sturz die Retter automatisch alarmierte und zur Unfallstelle mit dem Bewusstlosen führte. Und dank der Notruffunktion von Wearables wurden unter anderem Paddler, Autofahrer und Jet-Ski-Fahrer aus lebensbedrohlichen Situationen befreit. Im Prinzip funktionieren Smartwatches dabei so: Die Uhr misst die Vitalfunktionen ihres Trägers. Wenn Unregelmäßigkeiten auftreten, schlägt sie Alarm. Wird etwa ein Sturz registriert, wartet das Gerät kurz, ob der Mensch noch reagiert. Ist das nicht der Fall, fragt die Uhr nach, ob sie einen Notruf absetzen soll. Kommt darauf keine Reaktion, wird schließlich eine Hilfekette ausgelöst. Die Watch setzt einen Notruf ab und übermittelt gleichzeitig die GPS-Daten, um Rettern die aktuelle Position der Person anzuzeigen.
Wearables erinnern ans Händewaschen
Und auch in der aktuellen Corona-Pandemie können Wearables Hilfestellung leisten. So haben sowohl Google als auch Apple nützliche Features eingeführt. Zum einen sind Lieferdienste in Google Maps leichter zu finden, in den Apple Karten werden medizinische Einrichtungen hervorgehoben. Außerdem erinnern Google-Uhren jetzt alle drei Stunden ans Händewaschen, dazu gibt es einen 40-Sekunden-Timer, damit man das auch gründlich genug macht. Apple bietet ähnliche Funktionen, wobei hier der Beschleunigungssensor der Uhr die typischen Handbewegungen beim Händewaschen und das Mikrofon die Geräusche von fließendem Wasser und Seife erkennen.
Hightech-Doc am Handgelenk
Gängige Fitness-Features wie Pulsmesser, Herzrhythmussensor, Schritt- und Kalorienzähler gehören längst zur Standard-Ausrüstung moderner Smartwatches. Doch die technische Weiterentwicklung der Geräte ermöglicht immer mehr Funktionen – und lässt die Grenzen zwischen medizinischen Geräten und Hightech am Handgelenk teilweise verschwimmen. So können einige Smartwatches inzwischen auch den Blutdruck sowie den Sauerstoffgehalt im Blut messen und den Insulinspiegel bei Diabetikern erkennen. Im nächsten Schritt will Apple gemeinsam mit dem Pharma-Riesen Eli Lilly herausfinden, ob die von der Watch ermittelten Daten dabei helfen können, Demenz in einem frühen Stadium zu erkennen. Doch auch Apples große IT-Konkurrenten forschen und investieren längst mit Hochdruck im Gesundheitsbereich.
Die Zukunft von Smart Health
So betreibt etwa Google mit enormem Aufwand den Dienst Verily, für den rund 1000 Wissenschaftler an neuen Biosensoren, datengestützten Diagnosemethoden und Medizinrobotern forschen. Die Vision dahinter: eine datengetriebene Revolution der Medizin, in der Rechner ständig mit biologischen Informationen von Körpersensoren gefüttert werden und selbstlernende Software nach Anzeichen von Krankheiten sucht. Der Futurist Ray Kurzweil, der als Director of Engineering für Google arbeitet, träumt gar von winzig kleinen Nanorobotern, die in der menschlichen Blutbahn kreisen und Krankheitserreger aufspüren können.
Smart Watches erkennen Knieprobleme
Was schon jetzt möglich ist: Messen am Körper getragene Sensoren etwa, dass man eine Treppe langsamer als sonst und stärker nach links oder rechts geneigt hochsteigt, könnte das ein Indiz für ein Knieproblem sein. Dazu passt, dass Google unlängst für 2,1 Milliarden Dollar Fitbit kaufte, einen der bekanntesten Hersteller von Fitness-Armbändern und Smartwatches. Damit hat der Suchmaschinen-Gigant auch Zugriff auf die wertvollen Nutzerdaten, die von den unzähligen Fitbit-Geräten erfasst und übermittelt werden und mit denen sich neue maßgeschneiderte Gesundheitsangebote erstellen lassen.
Sprach-Assistenten als Werkzeuge für Gesundheitspersonal
Und auch Amazon ist in den Gesundheitsmarkt eingestiegen. Mit Amazon Care kommen zunächst nur die eigenen Mitarbeiter in den Genuss von medizinischen Leistungen in Form einer persönlichen ärztlichen Betreuung per App, in der auch Video-Konsultationen und Chats mit Experten angeboten werden. Und: Mobile Ärzte kommen auch persönlich im Büro oder zu Hause vorbei, um Untersuchungen durchzuführen. Selbstverständlich liefert Amazon den Mitarbeitern auch Medikamente per App bis an die Haustür. Und natürlich spielt auch Alexa bei Amazon eine wichtige Rolle. Die auch in Deutschland weit verbreitete Sprach-Assistentin ist in den USA bereits für die Übertragung von Gesundheitsdaten und die Abfrage von Untersuchungsergebnissen zugelassen worden. Theoretisch könnte Alexa in Zukunft auch an vielen Krankenbetten stehen, um einfache Aufgaben des Gesundheitspersonals zu übernehmen. Facebook und Microsoft haben ebenfalls Health- Anwendungen entwickelt, die auf künstlicher Intelligenz und Cloud-Software basieren.
Smart Health lebt von Daten
Ob die digitalen Gesundheitsvisionen der globalen IT-Player eines Tages profitable Wirklichkeit werden, hängt jedoch nicht allein von den technologischen Möglichkeiten und Innovationen ab. Sondern vor allem von der Bereitschaft der Menschen, ihre Gesundheitsdaten privaten Großkonzernen anzuvertrauen. Sowohl Google als auch Microsoft haben schon vor mehr als zehn Jahren ehrgeizige digitale Gesundheitsprojekte wie Google Health und Health Vault gestartet – um sie dann mangels Akzeptanz und Umsetzbarkeit wieder einzumotten.